Kernavė früher und heute

Vor Jahr und Tag, noch im IX. – VIII. Jt.v.Chr. lebten hier, sich an der schönen Krümmung von Neris niedergelassen, unsere Vorfahren. In Einbildung vieler Menschen entsteht dieser Ort als die Wiege des litauischen Staates – mit seinen Legenden, Burghügeln von einer unsäglichen Schönheit, mit dem Pajautos–Tal, hundertjährigen Eichen und mit seiner geheimnissvollen Geschichte.Historiker führen den Anfang von Kernavė in das Jahr 1040 zurück. Die Begründung von Kernavė lässt sich mit dem Enkel des Herrschers Palemonas, der römischen Ursprungs war, Kernius verknüpfen. Diese Gegend wurde eben nach seinem Namen genannt. In der Chronik von Bychovcas erzählt man, dass der aus Rom ausgewanderte Fürst Palemonas drei Söhne – Bartkus, Kūnas und Spėra – hatte. Nach dem Tod von Bartkus und Spėra, begann Kūnas das Land zu regieren, der aber auch zwei Söhne hatte, die Kernius und Gimbutas hießen. Während seiner Herrschaft in Samogitien wurde der Fürst Kūnas sehr stark. In einem Feldzug hat er einen schönen Ort gefunden, der ihm besonders gefallen hat, deshalb hat er dort seinen Sohn Kernius angesiedelt und diese Gegend nach seinem Namen – Kernavė – genannt. Das Jahrbuch des Großfürstentums von Litauen und Samogitien, auch M. Stryjkovskis behaupteten, dass Kernius selbst der Begründer von Kernavė war. Wie es zu sehen ist, schreibt man über die Begründung von Kernavė in verschiedenen historischen Quellen ganz unterschiedlich. Die Jahrbücher sind voll von verschiedenen Widersprüchen auch bei der Beschreibung der späteren Herrscher von Kernavė. Nach Kernius sind noch einige Herrscher bekannt: Šventaragis, Skirmantas, Trobis, Narimantas und andere, die in Kernavė gewählt wurden, aber einer der ersten und bekanntesten war Traidenis, unter dessen Herrschaft (1269 – 1282) die Rolle von Kernavė am deutlichsten war. Es sind außerdem die Angaben über die aktiven Handelsverbindungen von Kernavė mit anderen Nachbarländern in diesem Zeitabschnitt erhalten geblieben. Später verfiel Kernavė dem Fürsten Gediminas, der bei der Einteilung der ethnischen Länder von Litauen seinen Sohn Manvydas zum Herrscher von Kernavė ernannt hat. Nach Manvydas’ Tod, im Jahre 1342, trat Algirdas die Herrschaft über Kernavė an. Aber nachdem Jogaila 1383 der Großfürst von Litauen geworden war, hatte er Kernavė seinem Bruder Vygantas (Aleksandras) übergeben. Er war der letzte Herrscher des teilweisen Fürstentums von Kernavė.

Die schriftlichen Quellen des XVI. – XIX. Jh., die einmütig Kernavė für die erste Hauptstadt Litauens halten, sind voll von unbestätigten geschichtlichen Wahrheiten und Legenden. Die Frage, wo das Hauptzentrum der Staatlichkeit von Litauen unter Mindaugas’ Herrschaft war, bleibt noch heute offen. Eine der überzeugendsten Versionen wäre eher diese, dass Kernavė in der Regierungszeit von Mindaugas die Hauptstadt nicht im Sinne der heutigen zentralisierten Staaten war, sondern als eine der Hauptburgen des Großfürsten. Anhand der schriftlichen Quellen, die erhalten geblieben sind, und der durchgeführten archäologischen Untersuchungen, zieht man die Schlussfolgerungen, dass es entweder Vilnius, oder Kernavė sein könnte. Übrigens ist in einem Jahrbuch die Legende über die Verlegung der Gediminas’ Hauptstadt aus Kernavė nach Trakai und aus Trakai nach Vilnius, die auch davon zeugt. Unbestritten ist nur die Tatsache, dass Kernavė eines der bedeutendsten Zentren bei der Entwicklung des litauischen Staates im XIII. Jh. war. Hier, am Fuße der Verteidigungsburghügel, entstand im XII. – XIV. Jh. die mittelalterliche Stadt, die etwa 3 – 4 Tausend Einwohner hatte, die Stadt mit ihren Straßen und Häusern, mit Werkstätten von begabten Handwerkern. Der Hauptfürstensitz war auf dem Aukuro kalno–Burghügel. Andere Burghügel – Mindaugo sosto, Lizdeikos, Kriveikiškių und Pilies kalno – waren Verteidigungsburghügel. Die Reimchronik von Livland und die von Hermann Wartberge erwähnen Kernavė im Jahre 1279 bei der Beschreibung des erfolglosen Feldzuges von Schwertrittern in das Land des Fürsten Traidenis. Die litauischen Kämpfe mit dem deutschen Orden in der zweiten Hälfte des XIV. Jh. haben auch Kernavė berührt. Nicht einmal brannten hier die Burgen, auch nicht einmal war hier die Erde mit Blut getränkt. Deutsche Chroniker erwähnen zwei vernichtende Feldzüge im Jahre 1365 und 1390, die diese Stadt verheert haben. Nach den Angaben der Chronik von Hermann Wartberge und der von Wiegand Marburg, auch nach der älteren Chronik von Großen Magistern war die Hauptursache des Feldzuges nach Litauen im Jahre 1365 die Überläufung von Vytautas zu den Kreuzrittern. Während des Feldzuges wurde unter einigen anderen Burgen auch die Burg von Kernavė verbrannt. Die Chronik von Wiegand Marburg beschreibt auch den Feldzug des deutschen Ordens und des Heers seiner Verbündeten nach Kernavė im Jahre 1390. Vytautas hat auch während dieses Feldzuges auf der Seite der Deutschen gekämpft. Die Verbündeten haben Maišiagala und danach auch Kernavė erobert, das die Litauer später selbst angezündet und es seinem Schicksal überlassen haben. Nach dem Angriff der Kreuzritter und dem Brand im Jahre 1390 wurden die Burgen in Kernavė nicht mehr wiederaufgebaut.
Die Burghügel haben nach den Kämpfen mit den Kreuzrittern auch ihre Verteidigungsrolle verloren. Die verödete Stadt in dem Pajautos–Tal begann allmählich zu schwinden. Die Einwohner begannen sich auf der oberen Terrasse niederzulassen. Unter Herrschaft von Vytautas bekam Kernavė nur die Rolle eines Amtsbezirks. Hier wurde ein staatlicher Landsitz eingegründet, dessen erster Herrscher Boividas war. In der Regierungszeit von Vytautas wurde in Kernavė 1420 die erste Kirche gebaut, die 1729 niedergebrannt ist, aber im Jahre 1739 wiederaufgebaut wurde. Das Gebäude der hölzernen Kirche ist bis heute nicht erhalten geblieben. Es wurde abgebaut und verkauft. Žygimantas Augustas hat 1571 für Kernavė das Magdeburger Stadtrecht gewährt, das Stanislovas Augustas 1729 erneuert hat. Er hat dem Städtchen auch das Wappen eingeräumt, auf dem einer zwischen dem Stadttor stehender Ritter zu sehen war. Die Stadt Kernavė war eine der größeren Städte, die über 49 Höfe verfügte. Aber sie fristete ein elendes Leben, der Boden war schlecht, der Landsitz geriet oft in Schulden. So dauerte es, bis die Stadt ihr Magdeburger Recht und die Einwohner ihre wirtschaftlichen, juristischen Rechte und Freiheiten verloren haben. Kernavė blieb eine unprivilegierte und bedeutungslose Stadt in unmittelbarer Nähe des staatlichen Landgutes. Ende des XIX. Jh. und Anfang des XX. Jh. lebten in der Gemeinde von Kernavė 2000 Einwohner, inzwischen in der Stadt – nur etwa 200. Der größere Teil der Bauern waren die sogenannten freien Menschen. Sie hatten die Freiheit der Umsiedlung, arbeiteten in Landgütern und in der Landwirtschaft. Der andere Teil der Bauern waren Leibeigene und mussten den Grundzins bezahlen. Im XIX. – XX. Jh. waren die meisten Bewohner polnisch sprechende Litauer oder Polen, weil hier einen sehr großen Einfluss die im XIX. Jh. begonnene massenhafte Polonisierung und Russifizierung gemacht haben. Es ist bekannt, dass einer der Grundschulelehrer den Eltern hartnäckig erklären musste, dass sie ihre Kinder zur litauischen Schule lassen, weil sie auf einen anderen Fall geschlossen sein wird. 1928 kommt nach Kernavė der Lehrer J. Šiaučiūnas, auf dessen Initiative hier nach einem Jahr eine neue Schule eingegründet wurde. Der Lehrer, auch Begründer des Museums in Kernavė (1930) J. Šiaučiūnas und die Priester Z. Baužys und N. S. – Milžinas waren einige von diesen, die zur intensiven Litauertumserquickung in der Zeit der litauischen Republik (1918 – 1940) beigetragen haben. Es ist noch zu erwähnen, dass auch die Juden, Russen und Tataren in Kernavė gelebt haben.
Das im Jahre 1989 gegründete archäologische und geschichtliche Museum – Schutzgebiet ist das erste Schutzgebiet in Litauen solchen Typs. Das ist der unikale Komplex von archäologischen, historischen und Naturdenkmälern, der das Territorium von 196,2 Hektaren umfasst: das Pajautos–Tal, fünf Burghügel und einen Teil der oberen Terrasse von Neris, die in der heutigen Stadt ist. Im Schutzgebiet gibt es zur Zeit 36 archäologische, historische und Kulturdenkmäler. Hier wird die Tätigkeit verboten, die den Denkmälern Schaden anrichten und die Naturprozesse verletzen kann. Das Naturschutzgebiet hat die Fläche von 111,5 Hektaren. Die landwirtschaftliche Tätigkeit wird hier beschränkt und mit den Forderungen des Denkmal– und Naturschutzes in Übereinstimmung gebracht. Im Naturschutzgebiet gibt es 6 archäologische und historische Denkmäler. Die Zone der regulierbaren Bebauung und der bewachten Naturlandschaft nimmt die Fläche von 2336,9 Hektaren auf den beiden Seiten des Flusses Neris ein. Es gibt hier 10 archäologische, historische und Kulturdenkmäler. Diese Zone wurde um die des Schutzgebietes und Naturschutzgebietes zur Aufbewahrung der historisch gebildeten Urbanisierungs– und Naturumgebung gebildet. Die Bekanntschaft mit dem Schutzgebiet ist es am besten von dem Besichtigungsplatz, der hinter der Kirche, neben der Holzkapelle ist, zu beginnen. Auf dem Platz steht die Informationstafel mit dem Schema der Standorten von Denkmälern und deren kurzen Beschreibung. Einer der ausdrucksvollsten Akzente des Schutzgebietes sind die Burghügel. Nirgendwo anderswo in Litauen werden wir fünf nebeneinander stehende Burghügel finden wie hier in Kernavė. Auf dem ältesten zentralen Burghügel Aukuro kalnas haben sich die Menschen im I. Jh.v.Chr. angesiedelt. Er befindet sich südlich vom Besichtigungsplatz und wird noch manchmal Barščiakalnis genannt. Laut Schrifstellern – Romantikern sei hier ein heidnisches Heiligtum gewesen, wo der oberste heidnische Priester das ewige Feuer schürte, die Träume erklärte und die künftigen Ereignisse prophezeihte. Auf dem Aukuro kalno–Burghügel stand im Mittelalter die Burg des Fürsten, wo sein Residenzort war. Rechts vom Aukuro kalno–Burghügel steht der Mindaugo sosto–Burghügel. Die Romantiker verknüpfen ihn mit dem Krönungsort von Mindaugas. Die Legenden erzählen über die in diesem Hügel gewesenen geheimnissvollen unterirdischen Öffnungen, in denen die Haustiere verschwunden. Im XIII. – XIV. Jh. stand hier eine Verteidigungsburg. Südwestlich von dem Besichtigungsplatz stehender Burghügel heißt Pilies oder Įgulos kalnas. Im Mittelalter befand sich hier der Oberteil der Stadt Kernavė. Die kulturelle Schicht des Burghügels wurde beim Pflügen zerstört und die letzten Gebäude wurden erst nach dem zweiten Weltkrieg abgerissen. Die Lizdeikos– und Kriveikiškio–Burghügel sind von dem Aukuro kalno–Burghügel am besten sichtbar. Lizdeikos–Burghügel, noch Smailiakalnis genannt, ist östlich vom Mindaugo sosto–Burghügel. Der fünfte Kriveikiškio–Burghügel ist etwa 0,4 Kilometer südöstlich vom Lizdeikos–Burghügel entfernt und befindet sich am rechten Ufer des Bachs Kernavėlė. Im XIII. – XIV. Jh. haben alle fünf Burghügel durch die Dämme und Verteidigungsbefestigungen einen einheitlichen Verteidigungskomplex gebildet. Die Stadtviertel lagen am Fuße der Burghügel – im Pajautos–Tal. Hier lebten die Menschen seit dem IX. – VIII. Jt.v.Chr. bis zum Ende des XIV. Jh.
Die heutige Stadt Kernavė liegt am rechten Ufer von Neris, in ihrer oberen Terrasse. Kernavė ist das Zentrum der Gemeinde. 1999 lebten hier 318 Einwohner. Der südliche Teil des Städtchens schließt sich an das Territorium des Schutzgebietes an. Den Kirchhof vorbeigegangen, tut sich eine wunderschöne Aussicht vor den Augen auf: die Krümmung von Neris, das Pajautos–Tal mit fünf Burghügeln. Neben der Kirche liegt der Kirchhof der alten Kirche von Kernavė und zwei Kapellen: Holzkapelle und Mauerkapelle. Die Holzkapelle war die Baute der Volksarchitektur und die Mauerkapelle war die des späten Klassizismus. Die Mauerkapelle hat der Gutsbesitzer Stanislovas Riomeris im XIX. Jh. bauen lassen. Hier war im XIX. Jh. das Mausoleum der Verwandtschaft von Riomeriai. Die heutige Kirche von Kernavė wurde zwischen 1910 – 1920 gebaut. In der Architektur sind die Elemente der Pseudogotik besonders krass. Den Kirchhof der Kirche schmücken die aus Feldsteinen zusammengesetzten Mosaiken (Künstlerin J. Grišiūtė), die den Leidweg von Christus darstellen. Auf dem Kirchhof stehen zwei originelle Denkmäler. Das erste Denkmal wurde aus Anlass des 600 – jährigen Jubiläums der Taufe von Litauen errichtet. Das zweite Denkmal wurde dem 700 – jährigen Jubiläum der ersten Erwähnung von Kernavė in den schriftlichen Quellen gewidmet. In der Kirche gibt es viele wertvolle Kunstwerke. Auf Initiative des Monsignores Česlovas Krivaitis wurde im IX. Jz. nicht nur der Kirchhof aufgeräumt, sondern auch ein untraditionelles Pfarrhaus gebaut. Schön aufgeräumte Umgebung des Pfarrhauses, die Kirche, der Kirchhof erwarten viele Besucher. Im Pfarrhaus ist zur Zeit eine interessante Exposition errichtet, die die historischen, kirchlichen Reliquien, auch die Reliquien aus dem Leben der Gemeindeglieder darstellt. Von der Kirche bis zum Stadtzentrum führt eine breite Fußgängerzone. Auf den beiden Seiten der Fußgängerzone stehen im IX. Jz. gebaute Handels– , Administrations– und Kulturobjekte. Im Kulturhaus ist das staatliche archäologische und historische Museum eingerichtet. Hier hat sich auch das Gemeindeamt eingerichtet. Am Ende der Fußgängerzone fällt im Laub der Bäume versunkenes zweistöckiges Mauergebäude – im Jahre 1929 aufgebaute Grundschule – besonders auf. Hier hat der Lehrer J. Šiaučiūnas 1930 die erste Museumsexposition von Kernavė eröffnet. In dieser Schule hat er sich mit großer Hingabe der Bildungs– und Kulturarbeit gewidmet. Jetzt trägt die Schule den Namen dieses berühmten Menschen. Die alte Architektur von der Stadt Kernavė ist am besten in Vilniaus– und Kernavės–Straßen erhalten geblieben. Im Stadtzentrum stehen am meisten die Gebäude, die in der Nachkriegszeit gebaut wurden. Die Siedlung fließt mit der schönen Natur ineinander. Südlich von der Stadt erstreckt sich das archäologische und geschichtliche Schutzgebiet, ein wunderschönes Naturrelief beiderseits vom Fluss Neris. Im Norden liegt der Pragarinės–See.
Um Kernavė herum liegende Kieferwälder ist ein wunderschöner Ort zum Pilzesuchen und Beerenlesen. Die Touristen können in dem Erholungsheim absteigen, an dem Feuer sitzen und die wunderschöne Krümmung von Neris genießen oder den Sonnenaufgang unter den im Nebel versunkenen Burghügeln beobachten. Kernavė lebt besonders im Sommer wieder auf. In dieser Jahrzeit finden hier verschiedene Feste, Folklorfestivals statt. Berühmt ist Kernavė auch durch sein traditionelles Rasos–Fest. Seit 20 Jahren werden hier verschiedene Expeditionen organisiert, in denen die Archäologen aus Litauen und aus dem Ausland arbeiten. Mit seiner unikalen Natur, geheimnissvollen Geschichte, schön aufgeräumten Umgebung erwartet Kernavė über etwa 13 Tausend Touristen aus Litauen und über 30 Tausend aus dem Ausland. Nach einem Besuch in Kernavė will man wieder hierhin zurückkehren. Über den hundertjährigen Eichen, erhabenen Burghügeln, über dem sagenhaften Tal schwebt der Geist unserer Vorfahren, die zum ewig heidnischen Feuer einlädt.